Schmerz in Lachen verwandeln von Tina Eichner
Wer einen Clown sieht fängt meist schon automatisch an zu lachen. Wir wissen bereits im Vorfeld das gleich etwas Komisches passieren wird. Es dauert an diesem Tag im April nur wenige Augenblicke, bis die ersten Kinder die Zirkusgruppe Mobile Circus for Peace neugierig im Wellcome Center, nahe der ukrainischen Grenze, umringen und beobachten. Von allen Seiten schallt Kichern durch den Raum des provisorischen Kindergartens, der in dem ehemaligen Kaufhaus eingerichtet worden ist. Es lachen nicht nur die Kleinen – die Zirkusmagie zieht jede Generation in ihren Bann.
Tomek ist ein besonders witziger Clown. Sein Kleidungsstil ist völlig übertrieben, als ob er nicht aufhören konnte sich mit bunten Sachen zu schmücken. Er schnappt sich einen Koffer und rutscht damit im Reitersitz über den Boden. Vor ihm hält er einen Hula Hoop als Lenkrad und hupt imaginär. Ein paar Sekunden später hat er einen Mitfahrer hinter sich, einen kleinen Jungen der in das Fantasiespiel mit einsteigt. Ein wuseliges Durcheinander entsteht, in dem die Kinder den Mobile Circus for Peace willkommen heißen und direkt mitmachen wollen. Die Kinder stehen auf, halten sich die Hände an den Kopf, staunen und lachen lauthals. Trotz Sprachbarriere, können alle verstehen was auf der Bühne passiert. Die Schrecken des Krieges und die Strapazen der Flucht scheinen für einen Moment vergessen.
Bereits über 6,5 Millionen Menschen mussten infolge des russischen Angriffskrieges aus der Ukraine fliehen. Das Ziel der Vertriebenen ist in vielen Fällen Polen, das bisher die meisten Geflüchteten aufgenommen hat. Die Kapazitäten vieler kleinerer Städte an der ukrainischen Grenze sind angesichts dieser enormen Zahlen längst erschöpft. Um den oft vom Krieg gezeichneten Ankommenden trotzdem Unterkunft, Verpflegung und Raum für Orientierung zu bieten, hat die polnische Regierung mehrere Willkommens Zentren – Welcome Center errichtet. Für Kinder ist die Flucht eine besonders belastende Situation, die viel von Warten und Ungewissheit geprägt ist.
Drei Wochen zuvor war die Performance noch eine Idee einer Gruppe Berliner Kreativer, die den Wunsch vereinte, etwas gegen das Leid des Ukraine-Krieges zu tun. Anjane treffe ich Anfang März das erste Mal in Berlin. „ Es wäre schön dazu beizutragen, dass ein Kind eine schöne Zeit hat, das vielleicht sonst gerade keine gute Zeit hätte.“, erklärt Anjane die Idee des Projekts. Ein Tuch ist mehrfach zu einem Turban um ihren Kopf gewickelt. Um ihre schmale Figur schmiegt sich ein locker sitzendes, blaues Kleid. Gemeinsam mit fünf weiteren Menschen ist sie als Teil der Gruppe des Mobile Circus for Peace, dem fahrenden Zirkus für den Frieden, nach Polen gereist. Die Idee: zu den Willkommens Zentren nahe der ukrainische Grenze fahren, um den Kindern in den geflüchteten Unterkünften zirkuspädagogische Aktivitäten anzubieten. Das Besondere an dieser Methode der Sozialarbeit ist die Umsetzung. Durch die Vermittlung von Zirkusdisziplinen wie Jonglage oder Akrobatik, werden Persönlichkeitsentwicklung und Körperempfinden positiv beeinflusst. Die Kinder lernen über sich hinaus zu wachsen. Das stärkt das Selbstbewusstsein und ist eine willkommene Ablenkung zum Alltag auf der Flucht. Die Truppe, die gemeinsam ins Grenzgebiet fährt, ist bunt gemischt: ein Zirkuspädagoge, zwei Clowns, ein Schamane, eine Architektin und eine Theatertherapie-Studentin.
Um die Reise zum etwa 900km entfernten Einsatzort nahe der ukrainischen Grenze zu finanzieren, organisiert die Gruppe Anfang April eine Charity Zirkusgala, bei der Artist:innen der „Kyiv Academy for Circus and Performing Arts“ auftraten. Bereits drei Tage nach dem Event geht die Reise los. Zwei in die Jahre gekommene, vollgestopfte Autos rollen Richtung Polen. Beide Fahrzeuge sind bis unters Dach mit Einrädern, Hula Hoops, Spielsachen und jeder Menge
motivierter Menschen gefüllt. Tomek, einer der Gründer des Projektes, fährt den grünen, verbeulten Van die ganze Strecke allein. Er ist einer der etwas älteren und erfahreneren Menschen in der sonst recht jungen Gruppe. Der aus Polen stammende Zirkuspädagoge arbeitet bereits seit 17 Jahren im Zirkus. Auf seinen silbern schimmernden Haaren trägt er ein Basecap, darunter versteckt, befinden sich einige Dreadlocks die zu einer Schnecke zusammen gerollt sind. Für Tomek ist es nicht das erste Mal, dass er Zirkuspädagogik in Krisengebieten anbietet: „Ich war in Israel, Palästina, Griechenland, im Libanon und habe dort selbstorganisierten Gruppen dabei geholfen ihre Angebote zu koordinieren.“, berichtet der Zirkuspädagoge, „Bei den Projekten ist es wichtig die spielerische Lebensweise bereits in unserer Gemeinschaft zu praktizieren.“
Was er damit meint, wird schnell klar- egal wo sich die Gruppe befindet, es wird gespielt und sich ausprobiert. Von außen könnte der Eindruck entstehen, diese Reise sei angesichts des ernsten Anlasses fast schon zu fröhlich. Doch innere Ausgeglichenheit ist eine wichtige Voraussetzung, um Freude bei anderen zu verbreiten. „Eine spannende Erkenntnis für mich war: Ich darf Menschen, die gerade in einer ganz anderen Lebenssituation sind als ich, auch entspannt und friedlich begegnen.“ erklärt mir die Theaterterapie-Studentin Fiona während unserer Fahrt durch Polen, „Also ich muss nicht mitleiden oder total erschüttert sein.“.
Gleiches gilt auch für die vom Krieg betroffenen Kinder, wie die Therapeutin für traumatisierte Kleinkinder Jane S. zuvor erklärt. Eltern verstehen oft nicht, dass ihre Kinder selbst in Trümmern spielen können- sie denken ihre Kleinen müssten traurig sein. Spielen ist jedoch die Basis für eine tiefentherapeutische Behandlung, denn es hilft den Kindern das Erlebte zu verarbeiten und sich zu öffnen.
Nach zwölf nicht enden wollenden Stunden Fahrt, erreicht die Gruppe ihr Ziel. Den genauen Ortsnamen möchten sie nicht in der Zeitung lesen, um keine Schlepperbanden anzulocken. Menschenhandel ist dort leider ein reales Problem, wie das Kollektiv während seines Aufenthaltes feststellen muss. Hier seien bereits Kinder verschwunden, berichten verschiedene Sozialarbeiter die so versuchen Hilfsstrukturen vor Ort für dieses Thema zu sensibilisieren. Wo sie sich jetzt befänden sei unklar.
Dieses Zentrum, ein ehemaliges Kaufhaus, ist deshalb von einem hohen Polizeiaufgebot bewacht. Um zu kontrollieren wer sich innerhalb des Areals bewegt, wird jedem Menschen ein individueller Code zugeordnet, der beim Betreten und Verlassen gescannt wird. Dafür muss man sich ausweisen und einen Corona-Test machen.
Die Atmosphäre auf dem Gelände ist anders als erwartet. Überall befinden sich Freiwillige, die aus der ganzen Welt anreisen. Vegane Küche, ein italienischer Pizzastand und die „World Central Kitchen“, eine Organisation die Menschen in Krisengebieten mit Nahrungsmitteln unterstützt, versorgen die Anwesenden mit Essen, Getränken und jeder Menge Herzlichkeit. Zwischendrin immer wieder große Reisebusse, die an- und abfahren. Familien mit Rollkoffern und Haustieren steigen aus, um für zwei, drei Tage hier zu bleiben, bis ihre Reise weitergeht.
Das Zirkusangebot wird hier dankend in die Struktur aufgenommen, gleich am nächsten Tag startet die erste Show im Kindergarten des Zentrums.
Spätestens am nächsten Morgen, auf der Fahrt zur Zirkusvorstellung, wird deutlich wie das mit dem mobilen Zirkus gemeint war. Der Volvo wird kurzerhand zur Umkleide und Maske. Letzte Besprechungen werden getroffen, bevor jede Person kostümiert und in Rolle das Vehikel verlässt. Aus der Musikbox schallt Zirkusmusik mit internationalen Charme. Wie ein Konfettiregen wirken die bunt angemalten Clowns und Artist:innen vor dem Grau des Parkplatzes. Sie beginnen bereits auf dem Weg zum Kindergarten mit den Menschen zu interagieren und Freude zu verbreiten.
Es ist verblüffend zu sehen wie hungrig die Kleinen nach Bewegung und Fantasie sind. „Ich war fasziniert von den Kindern, die sofort in die Situation sprangen und selbst mitmachen wollten, statt bloße Betrachter:innen zu sein.“erklärt Tomek. Auch Anjane denkt gerne an diese erste Erfahrung
zurück und schlussfolgert: „Die Kinder haben nicht nur Traurigkeit in sich, sie haben weiterhin Freude am Spielen. Sie wollen verstehen, sie wollen entdecken, sie wollen sich verbinden- alles was eine Kinderseele möchte. Darum ist es gerade besonders wichtig Zirkuspädagogik anzubieten, auch für die Eltern, die dadurch sehen können: Ah mein Kind kann immer noch glücklich sein.“ Nicht nur die Kinder profitieren von dem Angebot- auch die Freiwilligen und die Eltern nehmen viel positive Energie mit und schöpfen in diesem friedlichen Moment Kraft um weiterzumachen.
Die Motivation dieser ersten Erfahrung ist groß, doch die Gruppe möchte mehr als nur eine Stunde am Tag Shows organisieren. Sie wollen einen dauerhaften Ort schaffen, wo die Kinder sicher sind und spüren, dass sie wertgeschätzt und nicht vergessen werden. Nach einer kleinen Corona- Zwangspause in Quarantäne kann das Team des Mobile Circus for Peace diesen Ort schließlich Wirklichkeit werden lassen. Sie bauen ein einladendes, rotgelb gestreiftes Zirkuszelt mit zehn Meter Durchmesser auf den grauen Parkplatz. Dies ist nun das Erste, was die Menschen, die hier ankommen sehen und das Letzte, bevor ihre Reise weitergeht. Auch wenn es nur ein kleiner Beitrag zum geistigen Wohlbefinden zu sein scheint, ist er doch von großer Bedeutung, erklärt mir Fiona. „Um aus einer Starre oder Ohnmacht herauszukommen hilft es, wenn der Körper in Bewegung ist. Spiel und Bewegung schaffen Herzlichkeit. Herzlichkeit und Mitmenschlichkeit wiederum sind immer heilend und immer wohltuend.“